Biografiearbeit zur Überwindung von Sucht

Sucht-Biografie-Arbeit

Nur was gesehen und anerkannt wird, kann sich auch wandeln. 

Eine Form der Biografiearbeit lernte ich vor vielen Jahren bei den AA (Anonyme Alkoholiker) kennen:  einen ganzen Tag schrieb ich über meine schlechte Trinkgewohnheit. Je ich schrieb um so freier fühlte ich mich. ich hatte genug Zeit alles aufzuschreiben, was mir in den Sinn kam. Es gab keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ich durfte alles aufschreiben. Auch das, was mich belastete. Geschichten, die mir sehr peinlich waren, bekamen nun Gehör und Aufmerksamkeit. Geschichten von denen ich wünschte, sie wären nie geschehen. 

Meine SuchtGeschichte anerkennen

Ich kann meine Geschichten nicht auslöschen, nicht ausradieren, nicht ungeschehen machen. Aber ich kann mir meine Geschichten bewusst machen, sie betrachten, erfühlen und so mit mir und meiner Vergangenheit bewusst in Kontakt kommen. Ich darf all die Trauer, die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit, die Wut fühlen, die damit verbunden sind, und mit all dem Frieden schließen. Ich kann mich mit meiner Vergangenheit und meinen Taten versöhnen und zum Teil auch Dankbarkeit entwickeln, zum Beispiel dafür, dass durch so manche verrückte Aktion, die ich in meinem betrunkenen Zustand machte, nichts Schlimmeres passiert ist: Ich erinnere mich….

Geschichten erinnern, die peinlich und schmerzhaft sind

….. Mir ging es schlecht. Ich hatte Liebeskummer, Weltschmerz und spürte in meinem Herzen nur Traurigkeit und Schwere. Es war Winter. Draußen war es dunkel und kalt und so entzündete ich ein Feuer im Ofen. Das Holzfeuer brannte und erwärmte den Raum. …ich gab  mich meinem Schmerz hin. Ich öffnete eine Bierflasche nach der anderen, in der Hoffnung, den Schmerz im Rausch ertränken zu können. Es war ruhig in der Wohnung. Die Kälte und der Winter umhüllten das Haus. Ich saß vor dem Ofen und starrte in die Flammen. Tränen liefen über mein Gesicht. Mein Kopf war bereits benebelt vom Bier. Ich öffnete eine weitere Flasche und starrte in das Feuer. Der Schmerz in mir wurde zunehmend größer. Die Dramatik meiner Gedanken nahm mit jedem Schluck Bier zu. Ich war so traurig und so hilflos und konnte nur noch weinen und ins Feuer starren. Mir fröstelte trotz Feuer. Mir wurde innerlich so kalt und meine Gedanken so dunkel, dass ich einfach nur noch sterben wollte. Todessehnsucht ergriff mich. Die Kälte breitete sich in meinem Körper aus. Ich öffnete die Ofentür, warf noch mehr Holz in den Ofen und ließ die Tür offen, damit mich die Wärme des Feuers zumindest äußerlich erreichen konnte. Ich trank noch mehr Bier und übergab mich der Dunkelheit und meinem Schmerz. Dann Filmriss. Als ich wieder zu mir kam, war das Feuer im Ofen aus. Es war 4 Uhr morgens. Ich schmeckte den Biergeschmack in meinem Mund und sah die offene Ofentür. Ein Schreck durchzuckte mich und langsam erinnerte ich mich: ich sah mich weinend vor dem Ofen sitzen, die Ofentür offen, das Feuer lodernd. Der Schreck ließ mich erstarren: “Oh Gott! Ich hätte das ganze Haus abfackeln können! …  Wie eine geschlagene Hündin kroch ich ins Bett. Ich wünschte, dieser Abend wäre niemals geschehen.

Die Kraft des Vergebens

Solche Ausraster prägten sich tief in mein Gewebe, in meine Zellen und in meine Erinnerung ein. Wann immer Blitzlichter von solchen Ereignissen in mir auftauchten, verknüpfte ich die Erinnerung sofort mit meinen damaligen Gefühlen. Und so spürte ich diese Gefühle von Schmerz, Trauer und Hoffnungslosigkeit erneut und verknüpfte sie mit meiner Gegenwart. Durch das Schreiben darüber wurde ein erster kleiner Trennstrich gezogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart und ich konnte bemerken, dass die Geschehnisse vergangen waren. Das, worüber ich schrieb, war Vergangenheit! Zusätzlich wurde mir klar, dass meine Scham über das Vergangene meine Wunden nicht heilt, sondern nur noch mehr eitern lässt. Anstatt Abwertung, Schimpf und Schande brauchte ich MitGefühl mit mir und meiner Geschichte.

Die Kraft des Bezeugens

An meinem Schreibtag hatte ich einen Zeugen, dem ich alles vorlesen konnte, was ich aufgeschrieben hatte. Ich wusste, dass auch er heftige Situationen mit Alkohol erlebt hatte und so brauchte ich mich vor ihm nicht zu schämen. All die mit Scham bedeckten, von Ekel durchzogenen und mit Selbstverurteilung verbundenen Geschichten wurden gehört. Durch das Aufschreiben und Vorlesen wurde meine Scham- und Hasskruste aufgeweicht. Ich konnte MitGefühl mit mir haben, weinen und bedauern und endlich mit einem Menschen meine Erlebnisse teilen. Mein Gegenüber hörte nur zu. Er sagte nichts. Keine Bewertung, keine Beurteilung, kein kluger Spruch. Nur wache Präsenz und Anteilnahme.

Der positive Effekt einer Beichte ist Erleichterung

Als kleines Mädchen ging ich mir 9 Jahren zum ersten Mal zur Beichte. Ich hatte damals immer mal wieder in einem kleinen TanteEmmaLaden Süßigkeiten geklaut. Natürlich wusste ich, dass das nicht richtig war. Und doch, es war so spannend und so aufregend Kleinigkeiten zu stehlen, dass ich es nicht sein lassen konnte. Die entwendeten Brausestängelchen in bunten Farben bitzelten so herrlich auf der Zunge, wenn ich sie lutschte. So ging ich in den Beichtstuhl mit klopfendem Herzen. Mit zitternder Stimme sprach in die Dunkelheit. Ich konnte meinen Beichtvater nicht sehen. Doch seine Worte hören. Er gab mir zur Aufgabe, zu beten und wusch mich von meinen Sünden rein. Dieses Gefühl, als ich aus dem Beichtstuhl ging, werde ich niemals vergessen. Eine große Last war von mir abgefallen und ich fühlte mich erleichtert und frei. Ähnlich leicht und frei fühlte ich mich nach diesem SchreibTag. Ich hatte die Erlaubnis, in die Vergangenheit zu schauen. Ich schrieb Fragmente meiner Vergangenheit auf und es gab jemanden, der mich barmherzig bezeugte. Nur das Vergeben, das musste ich selbst tun. Bis heute gibt es keinen Pfarrer mehr, der mir diese Arbeit abnimmt. Doch ich habe für das Vergeben viele Rituale und Praktiken entdeckt, die mir helfen, mit mir ins Reine zu kommen. Ich lernte, mir zu vergeben und mich nicht für meine Vergangenheit zu hassen. Ich entwickelte für mich Mitgefühl und Selbstliebe. Bis heute gehe ich immer und immer wieder diesen Weg zu mir, hinein in meinen Ursprung und in meine Kraft. Den Weg des Labyrinths. Den Weg des Ein- und Ausatmens – mein Lebensweg, bestimmt und gekennzeichnet durch meinen roten Faden.

Die Sucht-Biografie-Arbeit ist für mich ein sehr wirkungsvolles Werkzeug, das sowohl den Weg in die Nüchternheit, als auch das Leben in der Nüchternheit kraftvoll und lichtvoll begleiten kann. Erst der mutige Blick in die Vergangenheit sorgt dafür, dass die Vergangenheit in der Vergangenheit bleiben kann und ich selbst wieder in der Gegenwart ankomme. Erst wenn ich mich in der Gegenwart spüren und erkennen kann, dann habe ich die Chance, mich neu in die Zukunft zu gebären.

Nur was gesehen und anerkannt wird, kann sich auch wandeln.

Wenn du mehr über mich und meine Arbeit erfahren möchtest, freue ich mich sehr, wenn du mit mir in Kontakt trittst. Traue dich und geh einen Schritt in eine ungewohnte Richtung – das wird dich lebendig machen und du wirst spüren, wie dein Herz klopft. Ich freue mich auf deine Nachricht!

 

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